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Cinema-Talk

Corona & das Kino: Eine Branche leidet – und reagiert

Die Kino- und Filmlandschaft in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist eingefroren. Kinos sind zu, Filmstarts verschoben und Drehs so gut wie unmöglich. Wer die Gewinner und Verlierer sind, wie die Branche reagiert und wie man sie unterstützen kann.


Das öffentliche Leben befand sich die letzten Wochen gezwungenermaßen auf Minimal-Level. Eine ungewohnte Situation für alle Beteiligten. Angela Merkel nannte die Corona-Pandemie die „schwerste Krise seit dem zweiten Weltkrieg“. Kinos sind in Deutschland seit dem 18. März per Infektionsschutzgesetz geschlossen, genau wie Bars, Restaurants und alles andere, was nicht der lebensnotwendigen Versorgung dient. Und Genau wie die vielen Gastronomen und Ladenbesitzer, kämpfen auch die Kinobetreiber seitdem ums Überleben. Während die großen Kino-Ketten über gewisse Rücklagen verfügen dürften, um zumindest eine gewisse Zeit durchzuhalten, sieht es für viele kleinere Programmkinos naturgemäß wesentlich schlechter aus.


Wege um zu helfen


Not macht bekanntermaßen erfinderisch. Schon früh nach dem „Lockdown“ kamen vielerorts Initiativen auf, um zwangsgeschlossene Läden zu unterstützen und den Betreibern unter die Arme zu greifen. Auch bei Kinos gibt es viele solcher Möglichkeiten, um dem Betreiber seines Vertrauens durch die Krise zu helfen.


Zum Beispiel auf der Seite hilfdeinemkino.de, die von einem kleinem hamburger Lichtspielhaus ins Leben gerufen wurde. Das Prinzip dieser Seite ist ebenso simpel wie hilfreich. Kinos verdienen ihr Geld in erster Linie mit zwei Dingen: Dem Verkauf von Snacks- & Getränken und durch die Werbung, die vor jedem Film zu sehen ist. Bei Letzterem setzt die Initiative an. Man kann auf der übersichtlich gestalteten Seite sein Lieblingskino auswählen und sich dann freiwillig Werbung ansehen. Das gewählte Kino bekommt dann für jeden angesehenen Werbespot denselben Anteil, den es durch den Spot im eigenen Kinosaal bekommen hätte. Eine coole Idee und auch eine gute Hilfe, wenn man vor lauter Langeweile in der Quarantäne gar nicht mehr weiß, was man sich als nächstes bei Amazon bestellen soll.


Nicht besser als Netflix – aber netter


Eine weitere Option, die es auch schon vor Corona gab, ist die Website Kino-on-Demand.de. Der ursprüngliche Gedanke dieser kleinen Streaming Plattform war, sich dort Filme anzusehen, die man im Kino verpasst hat. Der Unterschied zu anderen Plattformen: Man leiht sich den Film nicht bei dem Anbieter, sondern direkt bei einem echten Kino, das man selbst aussuchen kann. Jeder Film kostet 4,99€ und bei jedem fünften Filmabruf bekommt man einen 5 Euro Gutschein für das ausgewählte Kino.


Die Filmauswahl unterscheidet sich allerdings deutlich von den eher Blockbuster-orientierten Wettbewerbern. Aber in der Bibliothek verbergen sich doch einige Perlen, die man bei Netflix & Co zwischen all dem schlecht produzierten Mummenschanz von Zeit zu Zeit vermisst.


Die Rückkehr der Autokinos


Manchmal, in Krisenzeiten, erweisen sich Relikte vergangener Zeiten als passende Reaktion auf moderne Probleme. Im Moment nutzen immer mehr Kinobetreiber die aufkommenden wärmeren Temperaturen, um mit einem solchen Relikt aufzuwarten: Dem Autokino. Den jüngeren Lesern muss man vielleicht kurz erklären was das ist.


Quelle: Wikipedia

Damit ist nämlich nicht gemeint, sich im Rücksitz auf dem Smartphone einen Film anzusehen. Das ist selbst in Corona-Zeiten eine unwürdige Art, Filme zu schauen. Nein, Autokino bedeutet, dass man im freien eine riesige Leinwand aufbaut, vor dem man dann auf festgelegten Plätzen parkt und sich den Film ansieht. In der Mitte des letzten Jahrhunderts war das, vor allem in den USA sehr beliebt.


In Deutschland gibt es dafür seit Jahren eine (sehr kleine) Zielgruppe. Aber jetzt, wo normale Kinos geschlossen sind, schießen sie wieder aus dem Boden. Auch große Kinoketten wie z.B. Cinespace haben kurzerhand ein Autokino auf die Beine gestellt, um wenigstens einen Teil der verlorenen Einnahmen wieder reinzuholen.


Die Strategie, die vorübergehende Schließung der Kinos durch solche Aktionen zu überbrücken, bis sie wieder öffnen, greift jedoch leider zu kurz. Sie ist zu optimistisch. Es lohnt ein Blick dorthin, wo man uns in der Entwicklung der Pandemie 1-2 Monate voraus ist.


Die Kinos in China – auf oder zu?


In China wurden Ende Januar alle Kinos dichtgemacht. Knapp zwei Monate nach dieser Maßnahme wagte man sich in mehreren Provinzen an eine erneute Öffnung, nach dem das Schlimmste der Pandemie überstanden schien. Interessanterweise blieben die großen Kino-Ketten freiwillig weiterhin geschlossen.


Der wahrscheinlichste Grund liegt auf der Hand. Nur weil man wieder ins Kino darf heißt es nicht, dass die Leute auch wirklich ins Kino gehen. Und gerade große Lichtspielhäuser mit vielen Leinwänden haben so hohe Fixkosten, dass es sich erst ab einer bestimmten Besucherzahl überhaupt lohnt, die Pforten zu öffnen. Die kleineren Kinos, die trotzdem öffneten, bekamen diesen Umstand sofort in Form eines nahezu Besucherlosen Wochenendes zu spüren. Trotzdem hielt man an dem Kurs fest. In Chinas Wirtschaft sieht man es ja bekanntlich nicht immer so eng mit den roten Zahlen. Die Programmlücken wollte man durch beliebte „ältere“ Filme füllen.


Doch dann folgte plötzlich eine rasante politische Kehrtwende. Alle offenen Kinos wurden Ende März aufgefordert, sofort wieder zu schließen. Ob dies aufgrund von tatsächlichen Neuinfektionen in Kinos angeordnet wurden oder ob man schlicht die Gefahr für zu hoch hielt und aus Vorsicht handelte weiß man natürlich nicht, aber bis heute dauern die Schließungen an. Es gibt aktuell wenig überzeugende Gründe, weshalb es sich auf dem deutschen Kinomarkt vollkommen anders entwickeln sollte. Das trifft natürlich nicht nur die Kinobetreiber.


Disney strauchelt


Ganz vorne auf der Liste der Getroffenen steht der Branchengigant Walt Disney. Dabei hätten die letzten Jahre nicht besser laufen können. Der "Mäusekonzern“, wie er oft genannt wird, machte 2019 einen Umsatz von knapp 70 Milliarden US Dollar und verbuchte 40% aller Ticket-Einnahmen in den vereinigten Staaten für sich. Zum Vergleich: An zweiter Stelle stand Warner Brothers mit nur 13,8%.


Seit Beginn der Corona-Pandemie geht es allerdings mit rasantem Tempo bergab. Kürzlich schätzte ein Analyst der New York Times den aktuellen Verlust für Disney auf ungefähr 30 Millionen Dollar – und zwar am Tag. Der neue Streaming Dienst „Disney Plus“, der im November in den USA und Ende März auch in Deutschland gestartet ist, ist momentan der einzige Rettungsanker, kann aber die immensen Verluste durch die ausfallenden Kinoeinnahmen und unterbrochenen Produktionen nicht ausgleichen.


Die Gewinner der Krise


Während in den Büros der Disney Studios in Los Angeles aktuell lange Gesichter gezogen werden und die Stimmung auf dem Tiefpunkt ist, dürfte weiter nördlich im Silicon Valley die Korken knallen und der Champagner sprudeln. Dort befindet sich der Firmensitz von Netflix. Wobei vermutlich beide Einrichtungen zurzeit geschlossen sind und sich diese Szenen eher im Home Office über Zoom abspielen dürften. Der Streaming Anbieter hat nach dem Ausbruch der Pandemie so einen Aufwind auf dem Aktienmarkt erfahren, dass er nun die wertvollste Medienfirma der Welt ist. Ende 2019 war Disney noch doppelt so viel Wert, wurde jetzt aber überholt. Schon vorteilhaft, wenn man für seine Einnahmen nicht auf geöffnete Kinos angewiesen ist, sondern im Gegenteil, von deren Schließung profitiert.


Der zweite und wohl noch größere Profiteur der aktuellen Lage ist Amazon. Hier räumt man gleich doppelt ab. Die letzten Monate boomte der Onlinehandel durch die geschlossenen Geschäfte noch mehr als ohnehin schon und auch nach Lockerung der Maßnahmen werden sich viele aus Vorsicht lieber beliefern lassen, als sich in Geschäften einem Ansteckungsrisiko auszusetzen. Hinzu kommt der Streaming-Ansturm, denn logischerweise schossen auch bei Amazon die Prime-Abos in die Höhe.


Aber auch den Streamingdiensten könnte in absehbarer Zeit die Bewegtbild-Munition ausgehen. Denn von den erschwerten Bedingungen für die Produktion und den Dreh von neuen Filmen- und Serien sind die sie nicht verschont.


The show must go on - Filme drehen in Zeiten von Corona


In der Zwischenzeit entstehen erste Lösungsansätze, um der Traumfabrik im Rest des Jahres langsam wieder zum Laufen zu bringen. So haben 2 Produzenten ein Dokument vorgelegt, das den Titel „Isolation Based Production Plan“ trägt, so berichtet das US Magazin „Variety“. Es zeigt Ideen auf, wie man auch unter Corona-Auflagen Filmdrehs gestalten könnte.

Und auch wenn das nur Ideen und keine offiziellen Richtlinien sind, verdeutlicht dieses Dokument die Enormen Schwierigkeiten, vor denen die Industrie steht. Teuer und umständlich beschreibt es ziemlich treffend. Hier ein paar Beispiele:


- Vor dem Dreh müssen alle Mitglieder von Cast und Crew in 14-tägige Quarantäne


- Aufgebaute Filmsets sollen für drei Tage verschlossen werden, damit sich auf Oberflächen keine Viren mehr befinden.


- Es soll in 2 oder 3 Gruppen schichtweise gearbeitet werden, ähnlich wie viele normale Unternehmen es aktuell tun.


- Jeder Darsteller bekommt einen eigenen Maskenbildner und muss sich nach dem Dreh selber abschminken.


Das sich solche Auflagen für riesige Blockbuster mit großem Produktionsaufwand umsetzen lassen, ist sehr zweifelhaft. Einfacher haben es eher geerdete Filme und kleine Produktionen. Auch in Filmen, bei denen viele Sets digital sind könnte es möglich sein.


Vielleicht wäre eine vorübergehende Reduktion der Produktionstätigkeiten aber auch genau das, was die Branche braucht. Denn ein weiteres, nicht zu vernachlässigendes Problem steht erst bevor, wenn wieder Normalität in unsere Gesellschaft einkehrt.


Stau auf dem Kinomarkt


Die meisten großen Filmstarts von März bis Juni wurden auf den Herbst verschoben. Das klingt erstmal nicht so dramatisch, aber die Kalender für neu startende Kinofilme sind für gewöhnlich vollgepackt und streng durchgetaktet. In Deutschland starten beispielsweise jede Woche 10-15 neue Filme. Klar, die meisten davon sind kleinere Produktionen, die der durchschnittliche Kinogänger gar nicht zu sehen bekommt. Sie fallen durch den Auswahlfilter der großen Kinobetreiber. Aber auch hochbudgetierte Produktionen gibt es unzählige. Da mal ebenso ein ganzes Quartal nach hinten zu verlegen ist nicht so einfach wie es klingt und es ist für die Filmemacher auch wenig zielführend, da sie dann mit ihren eigenen Filmen konkurrieren und dicke Verluste einfahren. Es sei denn, die Leute würden dann einfach doppelt so oft ins Kino gehen, was man als eher unwahrscheinlich bezeichnen kann. So entsteht ein ziemliches Chaos.


Als die ersten Verschiebungen angekündigt wurden, lagen zum Beispiel auf einmal mehrere Superhelden-Blockbuster im selben Monat. Da das aus logistischer und auch betriebswirtschaftlicher Sicht Blödsinn ist, wurde damit eine Lawine von Verschiebungen in Gang gesetzt. Gut möglich und naheliegend wäre also, dass man nun einfach alle vorhandenen Kinostarts der nächsten Jahre nach hinten verschiebt. Dann müssen Fans zwar teilweise bis zu ein Jahr länger auf vereinzelte Filme warten, aber vielleicht kann so, in Kombination mit den vorübergehenden Hilfsmaßnahmen und Hilfskrediten die vielfältige Kinolandschaft in Deutschland gerettet und erhalten werden.


Denn mal ehrlich, ich hoffe auch, dass sich durch Corona ein paar Dinge in unserer Gesellschaft ändern. Aber in eine Welt ohne Kinos möchte ich nicht zurückkehren. Sowohl in guten, aber vielleicht auch gerade in chaotischen Zeiten, brauchen Menschen die Zerstreuung, das Abtauchen in fremde Welten und die Entschleunigung, die nur Filme und das Kino uns bieten können.

 

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