Jeder kennt ihn. Selbst wenn man noch nie einen Batman Film gesehen hat, geschweige denn einen Comic gelesen – er ist der wohl berühmteste Clown, sogar berühmter als Pennywise. Doch im Gegensatz zu Stephen King’s Horrorclown ist der Joker kein physisches Ungeheuer, sondern ein wahnsinniger Krimineller. Einer, dessen Taten man nicht berechnen kann und der nur schwer zu durchschauen ist. Genauso undurchschaubar ist seine Geschichte. Wer ist er wirklich und wie wurde er zu der gestörten Persönlichkeit, die spätestens seit The Dark Knight zur Kultfigur geworden ist? Diese Frage beantwortet der Hangover Regisseur Todd Phillips in seinem neuen Film – oder doch nicht?
„If I’m going to have a past, I prefer it to be multiple choice!” – Der Joker in The Killing Joke
Wo alles begann
Der Joker ist eine der facettenreichsten Figuren in der Welt der DC Comics. Er ist schon unendliche Male auf ganz unterschiedliche Weise in Erscheinung getreten, sowohl optisch aus auch charakterlich. Das allererste Mal tauchte er im Jahr 1940 auf, im Comic Batman #1. Von da an entwickelte er sich hauptsächlich zum Erzfeind von Batman, spielte aber auch immer wieder in anderen Geschichten eine Rolle.
Sein Aussehen, vor allem sein Alleinstellungsmerkmal, das riesige, verrückte Grinsen, ist übrigens angelehnt an die Figur „Gwynplaine“ aus dem Film Der Mann der lacht von 1928.
Entgegen der heutigen Filmadaptionen, in denen der Fiesling sich sein Gesicht schminkt, war die Idee ursprünglich eine andere. In den meisten Comics und auch in Tim Burtons Batman (1989) bekommt der Joker, gespielt von Jack Nicholson, seine Hautfarbe durch einen Sturz in ein Becken mit Chemikalien, die seine Haut ausbleichen.
Auch tritt er in dieser Verfilmung unter einem bürgerlichen Namen auf: Jack Napier, und hier nähern wir uns langsam dem Kern der Sache: die wahre Identität des Jokers, oder besser formuliert, dessen Unbekanntheit.
Kein Alter Ego
Selbst in der Welt der Superhelden, wo Geschichten immer wieder neu begonnen, anders erzählt oder zusammengeführt werden, gibt es einige Dinge, die immer gleich sind: Zum Beispiel die wahren Identitäten der Figuren. Hinter Batman steckt Bruce Wayne. Hinter Superman steckt Clark Kent. Hinter dem Riddler steckt Edward Nygma. Hinter dem Joker steckt…. niemand.
Jede Figur wird in zwei Sphären gezeigt – die „zivile“ Version und schließlich die von ihr geschaffene Helden- oder Bösewichten Rolle. Nicht so beim Joker.
In den Comics wurde „Jack Napier“ mal als angeblich echter Name des Jokers gezeigt, aber schnell als Fake entlarvt – ein weiterer Trick des „Clown Prince of Crime“, wie sein häufiger Spitzname lautet. Für Jack Nicholsons Figur übernahm man diesen Namen trotzdem.
In den Comics hingegen hat der Joker ganz einfach keine wahre Identität – genau das ist es, was ihn so faszinierend und mysteriös macht. Er ist einfach nur der Joker. Er selbst erzählt sogar hier und da immer wieder völlig widersprüchliche Geschichten aus seinem angeblichen früheren Leben, oftmals in Form von Witzen. Genau dieses Element griff Christopher Nolan in The Dark Knight (2008) auf, als er sich nicht nur entschloss, die wahren Hintergründe des Jokers komplett im Dunkeln zu lassen, sondern indem er Heath Ledger in seiner Legendenrolle ebenfalls mehrere Geschichten erzählen lässt, wie er zum Joker wurde – die sich alle widersprechen.
Und es gibt einen, den dieses Mysterium um seine wahre Identität ganz besonders wahnsinnig macht. Nämlich seinen Erzfeind: Batman.
Bruce Wayne auf dem Stuhl der Wahrheit
Ab hier wird es sehr nerdig, davor sei gewarnt! Ist aber trotzdem irgendwie spannend. In den jüngeren Comics von DC wurde etwas eingeführt, dass sich der „Möbius Stuhl“ nennt. Das ist ein magischer, kosmischer Thron, der demjenigen, der darauf sitzt, unter anderem jede Frage beantwortet, die man ihm stellt. Im Comic Justice League #42 kommt Batman in den Genuss, dieser Kosmischen Instanz zwei Fragen zu stellen. Zunächst fragt er, wer seine Eltern ermordet hat und bekommt eine Antwort, die er bereits kennt: Joe Chill. Aber dann fragt er nach der wahren Identität des Jokers – und fällt vom Glauben ab.
Nachdem Comic Leser mit diesem Cliffhanger eine Weile warten mussten, wurde das Ganze in DC Universe Rebirth #1 aufgelöst. Wir erfahren, was der Stuhl ihm geantwortet hat. Seine Antwort war aber kein Name, sondern die Information das es gar nicht einen Joker gibt, sondern drei.
Diese Geschichte wurde noch nicht fortgeführt, doch zurzeit arbeitet der Zeichner Jason Fabok an der dreiteiligen Comic Reihe Batman: Three Jokers, die genau diese Fäden weiterspinnen wird.
Nun steht natürlich die Frage im Raum: Was hat das alles mit dem neuen Film Joker zu tun? Naja, im Grunde nichts, aber auch irgendwie alles.
Eindeutig uneindeutig – Das Ende von Joker (Achtung, Spoiler)
Todd Phillips gibt dem Joker in seinem Film nun das, was ihm gefehlt hat. Eine detailliert erzählte Entstehungsgeschichte des ikonischen Schurken – inklusive bürgerlichem Namen (Arthur Fleck), Familienverhältnissen und Leidensweg – und doch lässt Phillips die Tür am Ende einen großen Spalt offen - was vielen Zuschauern aber entgangen sein dürfte.
Gegen Ende des Films, nachdem der Joker sich in Mitten der eskalierenden Demonstrationen auf Gothams Straßen von der Masse feiern lässt, folgt eine Szene in einer Psychiatrie. Er sitzt ungeschminkt und mit Patientenkleidung einer Psychologin gegenüber. Diese Psychologin ist dieselbe Frau, die im vorherigen Filmverlauf als die Sozialarbeiterin zu sehen ist, bei der Arthur seine Medikamente holt. Arthur beginnt, wie schon so oft, krankhaft zu lachen. Auf die Frage der Frau, was denn so lustig sei, antwortet er, ihm sei gerade ein Witz eingefallen, aber den würde Sie nicht verstehen. Danach sieht man ihn durch den Flur der Anstalt gehen und dabei blutrote Fußspuren hinterlassen, bevor er dann von Mitarbeitern der Psychiatrie verfolgt wird, die versuchen, ihn irgendwie ruhig zu stellen.
Es wird nicht erklärt, wann diese Szene spielt und genau hier liegt der Hund begraben. Früher im Film wird angedeutet, dass Arthur bereits für einen langen Zeitraum in einer solchen Anstalt untergebracht war. Möglich wäre also, dass es sich hierbei um eine Rückblende aus genau dieser Zeit handelt.
Ebenfalls ist möglich, dass es nach den vorherigen Szenen auf den Straßen spielt. Das man ihn also wieder eingefangen und in Gewahrsam genommen hat. Der harte Cut und der Stimmungswechsel, den diese Szene vornimmt zeigt aber noch eine dritte Möglichkeit auf.
Der Film spielt - wie für Joker-Geschichten üblich - in großem Stil mit Wahnsinn und Halluzinationen. In Arthurs Kopf hat er z.B. mit seiner Nachbarin geschlafen und mit ihr eine romantische Zeit verbracht, was sich später als Einbildung herausstellte. Sie kennt ihn nur vom Sehen und findet ihn höchst eigenartig.
Auch die Frage, ob seine Mutter wirklich psychisch krank war und ihn nur adoptiert hat, oder ob sie vielleicht doch die Wahrheit gesagt hat, was ihr Verhältnis mit Thomas Wayne angeht, erschließt sich nicht eindeutig. Der Film verwischt bewusst die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wahrnehmung und Wahnsinn.
Bedenkt man dies, deutet die Psychiatrie-Szene am Ende von Joker nichts Geringeres an, als das die gesamte Filmhandlung nur eine Halluzination war, eine Einbildung, entsprungen dem Wahnsinn von Arthur Fleck, falls das überhaupt sein Name ist.
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